Medien Frankreich
Frankreichs Präsident Sarkozy verspricht der Presse Rettung vor der
Krise. Und treibt sie damit noch tiefer in die Abhängigkeit
Am Anfang war die Subvention. La Gazette hieß die
Zeitung, die der Arzt Théophraste Renaudot im Mai 1631 gründete, die
erste ihrer Art in Frankreich. Das Wochenblatt genoss die finanzielle
Unterstützung des Kardinals Richelieu und diente dessen Zwecken; als
Konkurrenz drohte, sicherte sich Renaudot ein gesetzliches Monopol.
Der Gedanke an diese Zeiten drängte sich am vergangenen Freitag auf, als Frankreichs Staatspräsident seinen Neujahrsempfang für die Presse gab. Eine Rede zur Modernisierung der Zeitungen war angekündigt. Zuvor hatten wochenlang die sogenannten »Generalstände« der Presse getagt – ein vom Staatschef zusammengetrommelter Kongress der Interessierten – und ein Büchlein mit Bitten an die Macht verfasst. Mehr Regierungsanzeigen in unseren Blättern, bitte schön, dazu Steuergeschenke und andere Subventionen, so sah der Wunschzettel aus. Nicht alle haben ihn unterschrieben. Es gibt Chefredakteure, aus deren Sicht Staatsgeld wie Zement wirkt, der jede Bewegung verhindert – selbst wenn Girlanden darum gewickelt sind, auf denen »Modernisierung« steht. Ihnen missfiel auch die gebückte Haltung der »Generalstände«: Jetzt, in der Krise, brauchten die Bürger eine wache, eine freche Presse und keine, die sich der Staatsmacht als Bittstellerin nähere.
Nun aber drängten sich Verleger und Journalisten unter Gold und Purpur, bis endlich Nicolas Sarkozy in den Festsaal des Élysée fegte. Ehrerbietiges Aufstehen. Und Hochspannung. »Ich werde Sie nicht mit ›liebe Freunde‹ begrüßen«, witzelte der Machthaber, »damit Ihre Unabhängigkeit gewahrt bleibt.« Doch dass sich der Staat um die Presse kümmere, sei ja wohl vollkommen okay. Schließlich stecke die in einer Krise, genauso wie die Autobranche, und die rette er auch.
Das war das Niveau. Nach der Rede, beim Champagner, wunderte sich eine Kollegin, was für einem Retter man sich da anvertraue. »Er verachtet uns«, sagte sie. Während Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft habe sie Vergleiche ziehen können: »Ihr Deutschen wurdet während der Gipfel laufend informiert, bekamt Termine mit der Kanzlerin, während wir ganz einfach vergessen wurden.« Details, aber es gibt viele dieser Art. Gleichzeitig, Ironie der Macht, werden Jahr für Jahr Journalisten zu Rittern der Ehrenlegion ernannt. Woraufhin einige von ihnen vor Rührung ganz weich werden und es auch bleiben.
Die Presse sei »die vierte Gewalt«, diesen Ausdruck prägte einst der Club des Cordeliers, jener Verein radikaler Revolutionäre also, der auch die Losung »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« erfand. »Diese vierte Gewalt existiert nicht mehr«, urteilt Jean Nouailhac in seinem neuen Buch Die Mediakraten. Der altgediente Pressemann übertreibt. Doch den Cordeliers, kämen sie noch einmal zurück, fiele einiges auf. Etwa dass der Sprecher der Regierungspartei verlangte, die vom Staat unterstützte Presseagentur AFP habe seine Kommuniqués gefälligst vollzählig abzudrucken. Oder dass sich der Präsident im Parlament das Vorrecht einräumen ließ, die Direktoren des öffentlichen Rundfunks zu ernennen. Kritikern dieser Klausel begegnet die Macht mit dem zynischen Argument, der Präsident hätte sich auch in dem bisherigen Wahlgremium stets durchgesetzt. Macht ohne Verkleidung – das ist der neue Stil.
Dazu kommt Mikro-Management. Anrufe der obersten Intendanz bei der Presse beispielsweise. Mal passt dies nicht, mal jenes. Ein Foto von Carla vielleicht. Oder die Überschrift »Sarkozy und die Psychologen« auf dem Titel des Nachrichtenmagazins Le Point. »Das gehört zum Spiel«, sagt dessen Chefredakteur Franz-Olivier Giesbert selbstbewusst. »Mich schockiert es nicht, wenn ein Politiker anruft, um zu protestieren oder mich zu bedrohen. Mitterrand, Chirac, Sarkozy, sie alle haben meine Entlassung gefordert. Schockierend ist vielmehr, wenn der Präsident etwas vom Fernsehen oder der Presse verlangt – und es dann auch so geschieht.«
Franz-Olivier Giesbert fügt eine französische Besonderheit hinzu: »Es gibt Industrielle, die Zeitungen besitzen, um ihren Einfluss zu erweitern. Etwa um leichter einen Termin beim Präsidenten zu bekommen zwecks öffentlicher Aufträge. Und die seinen Willen exekutieren.« Wer will außerdem glauben, schreibt der alte Fahrensmann Jean Nouailhac, dass beispielsweise die Journalisten von Paris Match oder Journal du Dimanche unbefangen über Probleme von EADS schrieben, deren Zeitungen der Gruppe des Industriellen Lagardère gehören, der wiederum 7,5 Prozent der Aktien von EADS besitzt sowie den Vorsitz des Aufsichtsrats innehat? Oder dass Les Échos in aller Freiheit die finanzielle Solidität der Luxuswarengruppe LVMH beschreibt, die Bernard Arnault gehört, dem Eigentümer des Wirtschaftsblatts? Als Arnault im Herbst 2007 den Kampf um Les Échos gewonnen hatte – nicht ohne Feuerschutz aus dem Élysée –, schrieb dessen Chefredakteur zum Abschied im Editorial: »In keinem entwickelten demokratischen Land der Welt ist die wichtigste Wirtschaftszeitung Eigentum einer großen Industriegruppe mit weit gespannten Interessen.« Außer in Frankreich – wo der Staatschef noch dazu ein kumpelhaftes Verhältnis zu ebensolchen Industriellen pflegt.
Eine bezeichnende Episode steuert Denis Jeambar bei, ehemals Chefredakteur des Express. Das Wochenmagazin gehörte dem Rüstungsindustriellen Serge Dassault. »Das war 2006«, sagt Jeambar, »als wir die dänischen Mohammed-Karikaturen ins Blatt bringen wollten. Nach Redaktionsschluss erhielt ich einen Anruf: ›Druckst du die Karikaturen?‹ – Ja. – ›Dann musst du Serge anrufen.‹ Mit Dassault ging es dann so weiter: ›Stop press!‹ – Die Druckerei müssen Sie schon selbst anrufen. Und ich werde dann zurücktreten, das Magazin erscheint nicht, und ein Mediensturm wird losbrechen. – ›Aber ich bin gerade in geschäftlichen Verhandlungen mit Saudi-Arabien.‹ Er wollte dort Waffen verkaufen. Ich legte auf und wartete ab. Es geschah nichts. Die Karikaturen erschienen.«
Das war also noch einmal gut gegangen. Heute besitzt Serge Dassault die Tageszeitung Le Figaro (verkaufte Auflage: circa 330000). Als deren Chefredakteur im vergangenen September einen Interviewtermin bei Wladimir Putin hatte, flog Dassault kurzerhand mit. Nachdem die ziemlich brave Befragung erledigt war, kamen der Industrielle und Russlands starker Mann bei Tisch aufs Geschäft zu sprechen. Für sich genommen, ist der Figaro kein lohnendes Investment. Im vergangenen Jahrzehnt ging die Gesamtauflage der nationalen Tagespresse um fast 18 Prozent zurück.
»Der Staat muss helfen«, sagt ein eher linksgerichteter Chefredakteur, »eine Zeitung ist schließlich Kultur, wie das Kino.« Oder wie das Auto, ist man versucht zu ergänzen. Nun, Frankreich zahlt bereits die höchsten Pressesubventionen Europas, sie belaufen sich auf acht Prozent vom Umsatz. Dennoch geht es der Presse des Landes besonders schlecht. Was sich mitnichten nur auf die schlimmen Zeiten schieben lässt. Die Kosten der in mehreren Ländern erscheinenden International Herald Tribune bieten einen Anhaltspunkt: 30000 Exemplare dieser 22 Seiten umfassenden Zeitung zu drucken kostet fast überall rund 2500 Euro – in Frankreich aber 3854. Herstellung, Verbreitung, Verkaufspreise, alles liegt weit über dem europäischen Durchschnitt. Die Folge: Fast nirgendwo verdient ein Zeitungsverkäufer so wenig wie in Frankreich. Ein Gesetz aus dem Jahr 1947 zwingt ihn überdies, jedes noch so kleine Blatt anzubieten. Dafür ist strikt geregelt, wo überhaupt Zeitungen verkauft werden dürfen und wo nicht.
Sie sehen nicht gut aus, die Zahlen nicht, die Moral nicht. »Unsere Presse ist korporatistisch und konformistisch«, klagt ein Altmeister des Journalismus, der ungenannt bleiben will. Er beschreibt einen Redaktionsalltag, in dem es genügt, wenn ein Politiker etwas durchsickern lässt – und schon ist es eine Meldung. »Wozu eine zweite Quelle? Man schreibt schnell etwas hin, geht zwei Stunden essen und bereitet sich auf den Feierabend vor. Die wochen- oder monatelange Recherche ist beinahe ausgestorben. Die 35-Stunden-Woche gab uns den Rest. Als Chefredakteur hatte ich meine Mühe, die Kollegen auch nur zu erreichen, zumal sie pro Jahr gut drei Monate frei hatten.« Die Gehälter wiederum sind niedrig und bleiben es weitgehend auch während eines Aufstiegs, was ein Anreiz für Nebenbeschäftigungen ist, nicht für Höchstleistung in der Redaktion.
Umso bewundernswerter sind die Journalisten, die sich nicht demotivieren lassen, die ihren Beruf ernst nehmen. Es gibt sie, keine Frage, doch selbst die Wochenmagazine überraschen wenig. Skandale, und es gäbe viele, werden fast nie systematisch verfolgt. Die Themenkonjunktur verläuft nach dem Muster »Vor der Sarkozy-Rede – die Sarkozy-Rede – Reaktionen auf die Sarkozy-Rede«. Die Radiosender wiederum, die Regionalzeitungen und Wirtschaftsblätter, die weithin gute Qualität bieten, können allein die Öffentlichkeit nicht herstellen, die ein großes Land wie Frankreich braucht.
Dass es so etwas wie eine gesellschaftliche Realität gibt, teilt sich dem Publikum eigentlich nur mit, sobald sie gestört wird: wenn Streiks das Land lahmlegen. Und im Internet. Es ist in Frankreich so voll, wie die übrigen Medien leer sind. Blogs und Facebook erzeugen politische Öffentlichkeit, mit ihnen organisieren sich Parteien und Bewegungen, sie sind beinahe so wichtig wie in Amerika. Aber was bedeutet das für die Medienunternehmen?
»Es lebe der Neojournalismus«, so stand es kürzlich im Express, als er seine 3001. Ausgabe feierte. Die Verlage freuen sich erst mal auf die zusätzlichen 600 Millionen Euro. Das jedenfalls war Sarkozys Rede für die Presse wert. Trotzdem sagt zum Beispiel Franz-Olivier Giesbert: »Der Staat hat sich schon zu sehr eingemischt.« Und nicht jeder lässt sich gern vom Staatschef darüber belehren, wie er seinen Job zu machen hat. Etwa als dieser auf dem Empfang forderte: »Immer an die Leser denken!«
Der Präsident zappelte, gestikulierte, beklagte die zu geringe Zahl der Zeitungsboten – und überspielte somit wortreich die Tatsache, dass er sich in Wahrheit nicht an eine Reform der Medienwelt herantraut. Sarkozys größte Sorge ist eine soziale Explosion. Und so ist der Moment ungünstig, sich mit den Druckergewerkschaften anzulegen. Oder mit den Journalisten. Also lief die Reformrhetorik leer, die Spannung wich, und auf einmal merkte man, wie hart die Stühle im Élysée waren.
Die Gazette übrigens verlor mit dem Tod von Kardinal Richelieu im Jahre 1642 ihren Gönner. Die Gegner des Hofes machten ihrem Monopol schließlich ein Ende. Rund 150 Jahre später waren Zeitungen Orte der Aufklärung, der Debatte und der Leidenschaft geworden. Aber da war ja auch Revolution.
Quelle ZEIT online http://www.zeit.de/2009/06/Medien-Frankreich
Krise. Und treibt sie damit noch tiefer in die Abhängigkeit
Am Anfang war die Subvention. La Gazette hieß die
Zeitung, die der Arzt Théophraste Renaudot im Mai 1631 gründete, die
erste ihrer Art in Frankreich. Das Wochenblatt genoss die finanzielle
Unterstützung des Kardinals Richelieu und diente dessen Zwecken; als
Konkurrenz drohte, sicherte sich Renaudot ein gesetzliches Monopol.
Der Gedanke an diese Zeiten drängte sich am vergangenen Freitag auf, als Frankreichs Staatspräsident seinen Neujahrsempfang für die Presse gab. Eine Rede zur Modernisierung der Zeitungen war angekündigt. Zuvor hatten wochenlang die sogenannten »Generalstände« der Presse getagt – ein vom Staatschef zusammengetrommelter Kongress der Interessierten – und ein Büchlein mit Bitten an die Macht verfasst. Mehr Regierungsanzeigen in unseren Blättern, bitte schön, dazu Steuergeschenke und andere Subventionen, so sah der Wunschzettel aus. Nicht alle haben ihn unterschrieben. Es gibt Chefredakteure, aus deren Sicht Staatsgeld wie Zement wirkt, der jede Bewegung verhindert – selbst wenn Girlanden darum gewickelt sind, auf denen »Modernisierung« steht. Ihnen missfiel auch die gebückte Haltung der »Generalstände«: Jetzt, in der Krise, brauchten die Bürger eine wache, eine freche Presse und keine, die sich der Staatsmacht als Bittstellerin nähere.
Nun aber drängten sich Verleger und Journalisten unter Gold und Purpur, bis endlich Nicolas Sarkozy in den Festsaal des Élysée fegte. Ehrerbietiges Aufstehen. Und Hochspannung. »Ich werde Sie nicht mit ›liebe Freunde‹ begrüßen«, witzelte der Machthaber, »damit Ihre Unabhängigkeit gewahrt bleibt.« Doch dass sich der Staat um die Presse kümmere, sei ja wohl vollkommen okay. Schließlich stecke die in einer Krise, genauso wie die Autobranche, und die rette er auch.
Das war das Niveau. Nach der Rede, beim Champagner, wunderte sich eine Kollegin, was für einem Retter man sich da anvertraue. »Er verachtet uns«, sagte sie. Während Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft habe sie Vergleiche ziehen können: »Ihr Deutschen wurdet während der Gipfel laufend informiert, bekamt Termine mit der Kanzlerin, während wir ganz einfach vergessen wurden.« Details, aber es gibt viele dieser Art. Gleichzeitig, Ironie der Macht, werden Jahr für Jahr Journalisten zu Rittern der Ehrenlegion ernannt. Woraufhin einige von ihnen vor Rührung ganz weich werden und es auch bleiben.
Die Presse sei »die vierte Gewalt«, diesen Ausdruck prägte einst der Club des Cordeliers, jener Verein radikaler Revolutionäre also, der auch die Losung »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« erfand. »Diese vierte Gewalt existiert nicht mehr«, urteilt Jean Nouailhac in seinem neuen Buch Die Mediakraten. Der altgediente Pressemann übertreibt. Doch den Cordeliers, kämen sie noch einmal zurück, fiele einiges auf. Etwa dass der Sprecher der Regierungspartei verlangte, die vom Staat unterstützte Presseagentur AFP habe seine Kommuniqués gefälligst vollzählig abzudrucken. Oder dass sich der Präsident im Parlament das Vorrecht einräumen ließ, die Direktoren des öffentlichen Rundfunks zu ernennen. Kritikern dieser Klausel begegnet die Macht mit dem zynischen Argument, der Präsident hätte sich auch in dem bisherigen Wahlgremium stets durchgesetzt. Macht ohne Verkleidung – das ist der neue Stil.
Dazu kommt Mikro-Management. Anrufe der obersten Intendanz bei der Presse beispielsweise. Mal passt dies nicht, mal jenes. Ein Foto von Carla vielleicht. Oder die Überschrift »Sarkozy und die Psychologen« auf dem Titel des Nachrichtenmagazins Le Point. »Das gehört zum Spiel«, sagt dessen Chefredakteur Franz-Olivier Giesbert selbstbewusst. »Mich schockiert es nicht, wenn ein Politiker anruft, um zu protestieren oder mich zu bedrohen. Mitterrand, Chirac, Sarkozy, sie alle haben meine Entlassung gefordert. Schockierend ist vielmehr, wenn der Präsident etwas vom Fernsehen oder der Presse verlangt – und es dann auch so geschieht.«
Franz-Olivier Giesbert fügt eine französische Besonderheit hinzu: »Es gibt Industrielle, die Zeitungen besitzen, um ihren Einfluss zu erweitern. Etwa um leichter einen Termin beim Präsidenten zu bekommen zwecks öffentlicher Aufträge. Und die seinen Willen exekutieren.« Wer will außerdem glauben, schreibt der alte Fahrensmann Jean Nouailhac, dass beispielsweise die Journalisten von Paris Match oder Journal du Dimanche unbefangen über Probleme von EADS schrieben, deren Zeitungen der Gruppe des Industriellen Lagardère gehören, der wiederum 7,5 Prozent der Aktien von EADS besitzt sowie den Vorsitz des Aufsichtsrats innehat? Oder dass Les Échos in aller Freiheit die finanzielle Solidität der Luxuswarengruppe LVMH beschreibt, die Bernard Arnault gehört, dem Eigentümer des Wirtschaftsblatts? Als Arnault im Herbst 2007 den Kampf um Les Échos gewonnen hatte – nicht ohne Feuerschutz aus dem Élysée –, schrieb dessen Chefredakteur zum Abschied im Editorial: »In keinem entwickelten demokratischen Land der Welt ist die wichtigste Wirtschaftszeitung Eigentum einer großen Industriegruppe mit weit gespannten Interessen.« Außer in Frankreich – wo der Staatschef noch dazu ein kumpelhaftes Verhältnis zu ebensolchen Industriellen pflegt.
Eine bezeichnende Episode steuert Denis Jeambar bei, ehemals Chefredakteur des Express. Das Wochenmagazin gehörte dem Rüstungsindustriellen Serge Dassault. »Das war 2006«, sagt Jeambar, »als wir die dänischen Mohammed-Karikaturen ins Blatt bringen wollten. Nach Redaktionsschluss erhielt ich einen Anruf: ›Druckst du die Karikaturen?‹ – Ja. – ›Dann musst du Serge anrufen.‹ Mit Dassault ging es dann so weiter: ›Stop press!‹ – Die Druckerei müssen Sie schon selbst anrufen. Und ich werde dann zurücktreten, das Magazin erscheint nicht, und ein Mediensturm wird losbrechen. – ›Aber ich bin gerade in geschäftlichen Verhandlungen mit Saudi-Arabien.‹ Er wollte dort Waffen verkaufen. Ich legte auf und wartete ab. Es geschah nichts. Die Karikaturen erschienen.«
Das war also noch einmal gut gegangen. Heute besitzt Serge Dassault die Tageszeitung Le Figaro (verkaufte Auflage: circa 330000). Als deren Chefredakteur im vergangenen September einen Interviewtermin bei Wladimir Putin hatte, flog Dassault kurzerhand mit. Nachdem die ziemlich brave Befragung erledigt war, kamen der Industrielle und Russlands starker Mann bei Tisch aufs Geschäft zu sprechen. Für sich genommen, ist der Figaro kein lohnendes Investment. Im vergangenen Jahrzehnt ging die Gesamtauflage der nationalen Tagespresse um fast 18 Prozent zurück.
»Der Staat muss helfen«, sagt ein eher linksgerichteter Chefredakteur, »eine Zeitung ist schließlich Kultur, wie das Kino.« Oder wie das Auto, ist man versucht zu ergänzen. Nun, Frankreich zahlt bereits die höchsten Pressesubventionen Europas, sie belaufen sich auf acht Prozent vom Umsatz. Dennoch geht es der Presse des Landes besonders schlecht. Was sich mitnichten nur auf die schlimmen Zeiten schieben lässt. Die Kosten der in mehreren Ländern erscheinenden International Herald Tribune bieten einen Anhaltspunkt: 30000 Exemplare dieser 22 Seiten umfassenden Zeitung zu drucken kostet fast überall rund 2500 Euro – in Frankreich aber 3854. Herstellung, Verbreitung, Verkaufspreise, alles liegt weit über dem europäischen Durchschnitt. Die Folge: Fast nirgendwo verdient ein Zeitungsverkäufer so wenig wie in Frankreich. Ein Gesetz aus dem Jahr 1947 zwingt ihn überdies, jedes noch so kleine Blatt anzubieten. Dafür ist strikt geregelt, wo überhaupt Zeitungen verkauft werden dürfen und wo nicht.
Sie sehen nicht gut aus, die Zahlen nicht, die Moral nicht. »Unsere Presse ist korporatistisch und konformistisch«, klagt ein Altmeister des Journalismus, der ungenannt bleiben will. Er beschreibt einen Redaktionsalltag, in dem es genügt, wenn ein Politiker etwas durchsickern lässt – und schon ist es eine Meldung. »Wozu eine zweite Quelle? Man schreibt schnell etwas hin, geht zwei Stunden essen und bereitet sich auf den Feierabend vor. Die wochen- oder monatelange Recherche ist beinahe ausgestorben. Die 35-Stunden-Woche gab uns den Rest. Als Chefredakteur hatte ich meine Mühe, die Kollegen auch nur zu erreichen, zumal sie pro Jahr gut drei Monate frei hatten.« Die Gehälter wiederum sind niedrig und bleiben es weitgehend auch während eines Aufstiegs, was ein Anreiz für Nebenbeschäftigungen ist, nicht für Höchstleistung in der Redaktion.
Umso bewundernswerter sind die Journalisten, die sich nicht demotivieren lassen, die ihren Beruf ernst nehmen. Es gibt sie, keine Frage, doch selbst die Wochenmagazine überraschen wenig. Skandale, und es gäbe viele, werden fast nie systematisch verfolgt. Die Themenkonjunktur verläuft nach dem Muster »Vor der Sarkozy-Rede – die Sarkozy-Rede – Reaktionen auf die Sarkozy-Rede«. Die Radiosender wiederum, die Regionalzeitungen und Wirtschaftsblätter, die weithin gute Qualität bieten, können allein die Öffentlichkeit nicht herstellen, die ein großes Land wie Frankreich braucht.
Dass es so etwas wie eine gesellschaftliche Realität gibt, teilt sich dem Publikum eigentlich nur mit, sobald sie gestört wird: wenn Streiks das Land lahmlegen. Und im Internet. Es ist in Frankreich so voll, wie die übrigen Medien leer sind. Blogs und Facebook erzeugen politische Öffentlichkeit, mit ihnen organisieren sich Parteien und Bewegungen, sie sind beinahe so wichtig wie in Amerika. Aber was bedeutet das für die Medienunternehmen?
»Es lebe der Neojournalismus«, so stand es kürzlich im Express, als er seine 3001. Ausgabe feierte. Die Verlage freuen sich erst mal auf die zusätzlichen 600 Millionen Euro. Das jedenfalls war Sarkozys Rede für die Presse wert. Trotzdem sagt zum Beispiel Franz-Olivier Giesbert: »Der Staat hat sich schon zu sehr eingemischt.« Und nicht jeder lässt sich gern vom Staatschef darüber belehren, wie er seinen Job zu machen hat. Etwa als dieser auf dem Empfang forderte: »Immer an die Leser denken!«
Der Präsident zappelte, gestikulierte, beklagte die zu geringe Zahl der Zeitungsboten – und überspielte somit wortreich die Tatsache, dass er sich in Wahrheit nicht an eine Reform der Medienwelt herantraut. Sarkozys größte Sorge ist eine soziale Explosion. Und so ist der Moment ungünstig, sich mit den Druckergewerkschaften anzulegen. Oder mit den Journalisten. Also lief die Reformrhetorik leer, die Spannung wich, und auf einmal merkte man, wie hart die Stühle im Élysée waren.
Die Gazette übrigens verlor mit dem Tod von Kardinal Richelieu im Jahre 1642 ihren Gönner. Die Gegner des Hofes machten ihrem Monopol schließlich ein Ende. Rund 150 Jahre später waren Zeitungen Orte der Aufklärung, der Debatte und der Leidenschaft geworden. Aber da war ja auch Revolution.
Quelle ZEIT online http://www.zeit.de/2009/06/Medien-Frankreich
lieberaugustin - 21. Feb, 15:37