Goethes Faust und die Wirtschaftskrise

"Krise" ? Goethes "Faust II" wusste bereits 1831 ökonomisch Tröstliches
zu erzählen
  • Wien/Weimar
    - Als sich der alte Goethe Anfang der 1830er-Jahre daranmachte, einige
    gut abgelegene Theaterszenen und Akte aus den Tiefen seines im
    Provinzherzogtum Sachsen-Weimar stehenden Schreibtisches hervorzuholen,
    um aus ihnen schließlich Faust, der Tragödie zweiter Teil zu
    verfertigen - da befand sich die Welt, wie er sie gekannt hatte, im
    völligen Umbruch.

Die ersten Eisenbahnen wurden mit thermodynamischer Energie
betrieben. Zwar wurden die europäischen Bürger politisch
niedergehalten; aber die Industrialisierung setzte mit ganzer Macht
ein, und in ihrem Gefolge die Umstellung der Nationalökonomien auf
abstrakte Geld- und Tauschwerte.
Wenn nun der Theatertextbegriff
Faust als ewiges Schreckenswort für alle Gymnasiasten fällt, so muss
den Verstockten aufmunternd entgegengehalten werden: Den 1808
veröffentlichten Faust I mag nun jeder dem Zitat nach kennen ("Habe nun
ach ..." ). Der Tragödie zweiter Teil wird ob ihrer verwirrenden
Themenfülle so gut wie nie aufgeführt. Letztere enthält aber eine Tiefe
der wirtschaftlichen Betrachtungskunst, die jeden historisch
aufgeschlossen Börsenbroker vollends entzücken müsste.

Allegorie des Geldes

Faust I endet mit dem letalen und äußerst betrüblichen Ende der
Gretchen-Tragödie. Der Mädchenschänder wird durch die Künste seines
Spießgesellen Mephisto nicht nur der Stätte seiner Untaten entrückt. Er
findet sich in der Pfalz des Kaisers wieder (Erster Akt), wo Goethe,
der geniale Spekulationshofrat, gleichsam im allegorischen Vorübergehen
eine Theorie der Papiergeldentstehung mit leichter, gleichsam
tändelnder Hand entwirft.
Der Kaiser steckt nämlich in der
Budgetklemme: kein Geld, nirgends. Hellsichtig begreift Goethe den
Urgrund aller etatistischen Krisen, und er lautet: chronische
Unterdeckung.

Mephisto, zum kaiserlichen "Narren" bestellt, durchhaut den
Gordischen Knoten mit einer genialen Idee: Man solle doch tüchtig
Papiergeld in Umlauf setzen! Wo es an Gold mangelt, um die wertlosen
Papierfetzen zu besichern, da soll eine Bodenreform Abhilfe schaffen:
Dem Kaiser werden willkürlich Ländereien zugesprochen, deren rein
spekulativ angenommene Erzvorkommen für die gehörige Deckung sorgen.

"Ungehobene Schätze" sind es also, die den aktuellen Mangel beheben
helfen. Kein anderer Denker vor Marx hat den Voodoo-Kult um Werte, die
noch gar nicht existieren und trotzdem schon in Anspruch genommen
werden, poetisch genauer in den Blick gefasst. Faust II ist das Stück
zur Krise. Die Bühnen spielen aber meistens lieber den biederen
Gretchen-Faust.  (Ronald Pohl, DER STANDARD, Print-Ausgabe,
24./25.1.2009)

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