Dienstag, 17. März 2009

Kommerzielles Gift zerstört Journalismus

16. März 2009, 16:40 www.standard.at

"Kommerzielles Gift zerstört Journalismus"

Nach
der Krise kommen die "Minimedien" verspricht der britische Autor und
"Guardian"-Journalist Nick Davies - Wieso kleine Einheiten in Zukunft
erfolgreich sind, sagte er dem STANDARD

  • "Guardian"-Journalist und Buchautor Nick
    Davies.
  • STANDARD: Ist die Finanzkrise ein
    Medienkonstrukt, ähnlich Millenium Bug oder Massenvernichtungswaffen im
    Irak?


Davies:
So weit würde ich nicht gehen. Bei der Finanzkrise sind die Medien in
die Falle getappt, weil sie an eine Legende glauben. Diese Legende
entstand unter Thatcher und Reagan und sagt, freier Markt und
Privatwirtschaft sind gut. Eine sehr simple und naive Legende. Einige
wenige Journalisten sahen die Gefahr, aber ihre Geschichten wurden nie
publiziert, weil sie der Legende nicht entsprachen. Ein Jahr bevor der
US-Subprimemarkt kollabierte, warnte die New York Times
davor. Niemand hat diese Geschichte übernommen. Ein Observer-Journalist
wollte einen Artikel veröffentlichen, in dem er die Gefahren des
Weltfinanzsystems beschreiben wollte. Der Redakteur lehnte ihn sehr
grob ab, weil der Artikel zu kompliziert war.

STANDARD: Aber
ist es nicht verkürzt, den Medien die Schuld zu geben? Die
Falschmeldung, wonach der Amokläufer seine Tat im Internet ankündigte,
streute zum Beispiel die Polizei.

Davies:
Natürlich. Die PR-Industrie stellt ein Problem für sich dar. Wenn man
mich morgen zum Premierminister in Großbritannien machen würde - ich
glaube nicht, dass sie es tun werden, aber falls doch - würde ich mir
genauso einen PR-Stab zulegen und versuchen, Medien zu manipulieren.
Die PR-Industrie ist böse, aber sie wird angespornt durch die Medien.
Manchmal ist die Falschheit aber auch beabsichtigt, um die öffentliche
Meinung zu manipulieren. Es braucht starke Medien, um dem
standzuhalten, andernfalls ist es sehr einfach zu manipulieren.

STANDARD: Wie konnte es so weit kommen? Alles wegen
Rupert Murdoch?

Davies: Nicht
nur. David Montgomery und unzählige andere Kapitalgesellschaften
repräsentieren wie Murdoch das kommerzielle Gift, das seriösen
Journalismus zerstört.

STANDARD: Sie werden Ihnen entgegnen: Der Erfolg gibt
uns Recht?

Davies:
Das glaube ich nicht. Wir befinden uns in einer Entwicklung mit drei
Phasen: Zuerst waren die guten Jahre, als die großen Konzerne
Nachrichtenorganisationen aufkauften und große Profite machten. Sie
kommerzialisierten Inhalte, bauten Personal ab und verdienten viel
Geld. Dann begann sich die Qualität der Nachrichtenproduktion zu
verschlechtern, was zu Leserschwund führte. Der sich mit dem Internet,
Phase zwei, beschleunigte. Außerdem verloren sie Inserate, auch ans
Internet. Jetzt hatten die Konzerne Probleme. In Phase drei
beschleunigt die Kreditkrise den Inseratenschwund. Diese
Beteiligungsgesellschaften waren kommerziell erfolgreich, aber niemals
journalistisch. In Großbritannien verlieren die übelsten
Boulevardblätter massenhaft Leser. Der Daily Mirror
hatte einmal vier Millionen, heute nur mehr 1,5 Millionen Leser.

STANDARD: Soll das heißen, das Problem der
Gossenpresse löst sich irgendwann von selbst?

Davies: Die großen Gesellschaften werden aus dem
Nachrichtengeschäft aussteigen. In Großbritannien trifft es gerade den
Evening Standard, der einem russischen Oligarchen gehört. Jetzt will er
ihn nicht mehr. Das Ende dieser als Kapitalgesellschaftsformen
organisierten Massenmedien ist in den nächsten fünf bis zehn Jahren
absehbar. Sie nehmen ihr Geld raus. Sag: Auf Wiedersehen zu ihnen.

STANDARD: Und danach?

Davies: Brauchen
wir eine dritte Finanzierungsquelle. Der "Guardian" begann sich
umzuschauen nach reichen Familien, die eigene Zeitungen besaßen und
gründete eine Stiftung. Die Regierung müsste einen Fonds gründen, der
es den vielen arbeitslosen Journalisten ermöglicht, neue Organisationen
zu gründen. Wir bewegen uns auf etwas zu, das ich "Minimedien" nenne.
Kleine Gruppen von Journalisten gründen eine Webseite und besetzen eine
kleines Gebiet, geographisch zum Beispiel eine kleine Stadt oder
thematisch die Nahrungsmittelindustrie. Wenn nicht, begeben wir uns in
eine Zukunft des Informationschaos. Diese Minimedien könnten auf ihrem
Gebiet die allerbesten Informationsquellen sein. So könnten wir die
Konzerne beiseite lassen. Sie sind das Problem und können nicht Teil
der Lösung sein.

STANDARD: Und wenn das auch nicht funktioniert?

Davies:
Wenn das Minimedia-Modell nicht funktioniert, verlieren wir den
Journalismus. Was haben wir dann? Eine inkohärente Blase. Manche sagen,
es macht nichts, wenn Journalismus stirbt. Weil das Internet es mit
Blogs usw. ersetzen wird. Das wäre, als sagee man, wir brauchen kein
Gesundheitssystem mehr, die Menschen heilen sich selbst. Wir brauchen
Menschen, die Fertigkeiten haben, Zeit und die Ressourcen, um
Informationen aufzugreifen und zu vermitteln.

STANDARD: Was haben Qualitätsmedien zu erwarten?

Davies:
Qualitätsmedien verlieren Geld, aber nicht unbedingt Leser. Nehmen wir
den Guardian. Wir drucken 350.000 Auflage, das stagniert. Unsere
Leserzahl im Internet steigt aber dramatisch, wir zählen 30 Millionen
Unique User.

STANDARD:  Das heißt, alles verlagert sich auf das
Internet. Auch das Zeitunglesen. Was ist mit dem haptischen Erleben?

Davies:
Der Grund, warum wir aufhören werden, Zeitung zu lesen, hat nur
teilweise mit Kosten zu tun. Wir sind in der Technologie nur einen
Schritt entfernt: Es braucht einen leichten, tragbaren Bildschirm, den
man leicht in die Tasche einstecken kann. Amazon
produziert dieses Ding schon als e-book. Aber es müsste noch leichter
sein, um darin Zeitungen zu lesen. Es wird nicht mehr lange dauern.

STANDARD: Was raten Sie einem Berufseinsteiger?

Davies: Immer
herein. Wenn du jemanden findest, der dich bezahlt, ist es ein
fantastisch guter Job. Du wirst bezahlt, um interessante Themen zu
finden, interessante Plätze aufzusuchen und kannst manchmal Menschen
attackieren, die wirklich Böses getan haben, was sehr, sehr
befriedigend sein kann. Ein Zeichen der Hoffnung ist auch, dass
Journalismus intelligente, energetische und idealistische junge
Menschen anzieht. Wir brauchen sie. Ihre Gegenwart ist ein Teil davon,
der uns beim Überleben hilft. (Doris Priesching, DER STANDARD;
Printausgabe, 17.3.2009/Langfassung)

Zur Person
Nick Davies schreibt beim "Guardian" und ist Autor von "Flat Earth News".
Beim ORF-Dialogforum diskutiert er am Dienstag,
19.30 Uhr, im Wiener NIG über Qualitätsjournalismus.

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